Geowissen

Die Lithosphäre unter der Türkei tropft

Zwei riesige Gesteinstropfen erklären Senke mitten im zentralanatolischen Plateau

Türkei und Konya-Becken
In der Türkei gibt es mitten in der zentralanatolischen Hochebene eine große Senke (Kreis), die immer tiefer wird - aber warum? © Frank Ramspott/ iStock

Rätsel gelöst? Ein neuentdeckter geologischer Prozess könnte eine tiefer werdende Senke im zentralanatolischen Plateau der Türkei erklären. Demnach sinkt das Konya-Becken ganz ohne Plattentektonik-Einfluss ab. Ursache ist stattdessen ein riesiger Gesteinstropfen, der am Unterrand der Lithosphäre hängt und das Konya-Becken nach unten zieht, wie Geologen in „Nature Communications“ berichten. Der jetzt entdeckte Lithosphären-Tropfen ist jedoch nicht der erste in dieser Region.

Wenn sich Gebirge auftürmen, ein Hochplateau entsteht oder auch tiefe Gräben, dann steckt meist die Plattentektonik dahinter: Die Drift der Kontinente deformiert die Nahtstellen zwischen den Erdplatten. Doch es gibt Landschaftsformen, die damit nicht erklärbar sind. Dazu gehören das zentrale Hochplateau der Anden, aber auch die zentralanatolische Hochebene in der Türkei. Beide wurden angehoben, ohne dass gängige tektonische Einflussfaktoren am Werk waren.

Das Rätsel des Konya-Beckens

Und noch etwas ist seltsam: Inmitten des sich noch immer hebenden Hochplateaus in Zentralanatolien liegt eine große Senke – das Konya-Becken. „Wenn man Satellitendaten anschaut, sieht man, dass sich die Kruste im Konya-Becken absenkt – das Becken vertieft sich zunehmend“, berichtet Erstautorin Julia Andersen von der University of Toronto. Pro Jahr senkt sich der Untergrund im Konya-Becken um rund 20 Millimeter, ohne dass an der Oberfläche seitliche Krustenbewegungen und andere Anzeichen plattentektonischer Prozesse erkennbar sind.

„Diese Daten repräsentieren ein geodynamisches Rätsel: Warum sinkt das Konya-Becken so schnell ab, obwohl es inmitten eines sich hebenden und tektonisch ruhigen Plateaus liegt?“, fragen Andersen und ihre Kollegen. Auf der Suche nach einer Erklärung nutzten sie seismische Daten, um unter die Kruste zu blicken.

Verdickte Kruste und schnellere Wellen

Tatsächlich wurde das Team fündig: „Wir sahen eine seismische Anomalie im oberen Erdmantel und eine verdickte Kruste unter dem Konya-Becken“, berichten die Geologen. Unter der rund 40 Kilometer dicken Kruste gibt es demnach eine Zone in 50 bis 80 Kilometer Tiefe, in der Erdbebenwellen schneller vorankommen als normal. „Das verrät uns, dass es dort kühleres, dichteres Gesteinsmaterial gibt, das von der Lithosphäre in den darunterliegenden Mantel absinkt.“

Könnte dies der Grund sein, warum das Konya-Becken in die Tiefe sinkt? Ein ganz ähnliches Absinken von Lithosphären-Material hat es in Zentralanatolien vor rund 25 Millionen Jahren schon einmal gegeben, wie eine Studie im Jahr 2017 enthüllte. Demnach bildete sich ein großer Tropfen am Unterrand der Lithosphäre, der immer länger und schmaler wurde und in den Mantel hinabsank. Als sich dieser Gesteinstropfen dann ganz ablöste, federte die Erdkruste nach oben zurück und verursachte die bis heute anhaltende Hebung des Zentralanatolischen Plateaus.

Labormodell
Die Bildung des ersten Lithosphären-Tropfens und der Beginn des zweiten im Labormodell.© Andersen et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Lithosphäre tropft gleich doppelt

Aber wo kommt dann jetzt ein zweiter Tropfen her? Und warum senkt sich die Erdoberfläche dadurch ab? Um das herauszufinden, haben Andersen und ihre Kollegen das Geschehen im Miniaturmaßstab rekonstruiert. Dafür füllten sie einen Plexiglastank mit zähflüssigem Polydimethylsiloxan (PDMS) als dem schmelzflüssigen Erdmantel. Darauf kam eine Schicht mit Ton vermischtem PDMS als der feste Mantelanteil der Lithosphäre und als Abschluss eine sandartige Schicht als Erdkruste. Ein kompaktes PDMS-Klümpchen diente als Anstoß, um den Prozess in Gang zu bringen.

Es zeigte sich: „Innerhalb von zehn Stunden beobachteten wir eine erste Phase der Tropfenbildung, die wir als den primären Tropfen bezeichnen“, berichtet Andersen. „Nachdem dieser erste Tropfen den Boden des Tanks erreicht hatte, sahen wir, wie sich ein zweiter Tropfen bildete.“ Dieser zweite Gesteinstropfen zeigte sich erst als Verdickung im dünnen, lang ausgezogenen Teil des ersten Tropfens. Nachdem sich dieser vom Unterrand der Modelle-Lithosphäre abgelöst hatte, blieb der zweite Tropfen jedoch hängen und wuchs weiter an.

Doppelter Lithosphären-Tropfen
So entstanden das Plateau und die Konya-Senke: Ein erster Lithosphären-Tropfen bewirkte nach seiner Ablösung ein Zurückfedern der Erdkruste – das Plateau hebt sich dadurch bis heute. Ein zweiter Tropfen hängt noch immer am Unterrand der Lithosphäre fest und zieht die Konya-Senke nach unten. © Andersen et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Sekundärer Tropfen zieht Konya-Senke nach unten

„Das zeigt uns, dass das Abtropfen von Gesteinsmaterial vom Unterrand der Lithosphäre kein einmaliges tektonisches Ereignis ist“, erklärt Andersens Kollege Russell Pysklywec. „Die neuentdeckten tektonischen Prozesse sind demnach verknüpft.“ Demnach verursachte der erste große Lithosphären-Tropfen unter Zentralanatolien die Hebung des Plateaus, löste aber gleichzeitig auch die Bildung eines zweiten, kleineren Tropfens aus.

Dieser zweite Tropfen hängt nun unter dem Konya-Becken am Unterrand der Lithosphäre und zieht sie mit seinem Gewicht nach unten. „Dies erzeugt die seltsame, schnelle Absenkung des Konya-Beckens inmitten des weiter in die Höhe wachsenden Plateaus“, erklärt Pysklywec. Auch im Labormodell entstand durch das Gewicht des zweiten Tropfens eine runde, immer tiefer werdende Senke an der Oberfläche der Masse.

Kein Einzelfall

„Unser geodynamisches Modell demonstriert damit, wie sich eine lokale Senke in Reaktion auf einen sekundären Lithosphären-Tropfen bilden kann“, schreiben die Forschenden. „Das Absinken des Konya-Beckens im Kontext der Plateaubildung illustriert zudem, wie lithosphärische Tropfen episodische Veränderungen an der Erdoberfläche hervorrufen können.“ Je nachdem, ob sich ein solcher Tropfen ablöst oder nicht, kann er demnach Hebungen oder Senkungen verursachen.

Und Anatolien ist dabei kein Einzelfall: Auch in den zentralen Anden und in Tibet gibt es Senken, die wahrscheinlich durch solche sekundären Lithosphären-Tropfen entstanden sind. Das bestätigt, dass die Plattentektonik keineswegs der einzige Prozess ist, der irdische Landschaftsformen hervorbringen und verändern kann. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-52126-7)

Quelle: Nature Communications, University of Toronto

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